Kunstausstellung: Fluchtpunkt

03. Mai 2016 - 03. Juli 2016

Veranstaltungs-Infos

 

Ein Fluchtpunkt ist ein Ort, an dem Vertriebene und Flüchtlinge aufgenommen, betreut und beraten werden. Der Fluchtpunkt ist außerdem in der Kunst das zentrale Element, um einem Foto oder gemaltem Bild Perspektive zu geben. Er gibt Orientierung und weist als perspektivisches Element in die Zukunft.

Vier aus Syrien geflohene Künstler präsentieren in den Räumlichkeiten des Institut français Zeichnungen und Malereien, in denen sie sich mit ihrer Fluchterfahrung auseinandersetzen.

Sie greifen Bilder der Flucht sowie innere Prozesse auf und verarbeiten die Erfahrungen auf ihrem Weg aus der Heimat in ein neues Land.

Neben den europäischen Werten werden die Themen Flucht, Krieg und Frieden behandelt.

Durch die Schaffung und Ausstellung der Kunstwerke treten Künstler und Publikum aus dem vorderen Orient und Deutschland miteinander in einen Dialog.

Führungen

Freitag 20. Mai und 17. Juni um 16 UhrDeutsch

Samstag 4. Juni um 11 und 13 Uhr: Arabisch

Donnerstag 9. Juni um 18 Uhr: Farsi

Dienstag 14. Juni 15.30 Uhr: Deutsch

 

Die Kunstausstellung wird organisiert in Kooperation mit dem Verein ArtDialog und dem deutsch-arabischen Lyrik-Salon. Sie wird gefördert von der Stadt Bonn, der Volksbank Bonn Rhein-Sieg, der Stiftung Kunst der Sparkasse, der Stiftung Kultur von RheinEnergie und dem Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes NRW.

 

Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters der Stadt Bonn Ashok Sridharan.

 

Öffnungszeiten: montags, dienstags, donnerstags und freitags 14:00 bis 17:00 Uhr

 

Rede von Dr. Uta Friederike Miksche                                                

Seit über 4 Jahren wütet nun bereits der Bürgerkrieg in Syrien und es ist kein Ende abzusehen. Hunderttausende von Toten sind zu beklagen und 12 Millionen Menschen haben unter dramatischen Bedingungen ihr Land verlassen müssen: Frauen, Kinder und Männer. Sie leben in Camps außerhalb des Landes, vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen an der mazedonischen Grenze in Griechenland oder haben Zuflucht in Europa u.a. in Deutschland gefunden. Unter den Flüchtlingen, die nun außerhalb Syriens leben sind auch viele Künstlerinnen und Künstler.

Dieser Aderlass an intellektuellen und kreativen Menschen hat zur Entwurzelung der syrischen Kunstszene geführt. Die jungen Künstlerinnen und Künstler sind in alle Welt zerstreut. Vereinzelt gibt es noch in Damaskus Kunstausstellungen, die Fakultät für bildende Kunst an der Universität in Damaskus ist geöffnet. Aber der Krieg lähmt die Kreativität, bringt den ästhetischen Diskurs zum Erliegen, trocknet die einst lebendige Kunstszene aus. Noch sind die großen Meister der modernen syrischen Kunst tätig. Aber das große Vorbild Abdulla Murad, in diesem Jahr 71 Jahr alt, kann kaum noch arbeiten, weil, wie man hört, ihm in seinem Atelier die Heizung fehlt. Mouneer Al Shaarani, der weltweit gerühmte Erneuerer der Kalligraphie und Autor musste Syrien inzwischen Richtung Beirut verlassen, und Youssef Abdelke wurde trotz seiner  weltweiten Reputation aufgrund seiner politischen Haltung 2013 von den syrischen Regierungstruppen arrestiert.

Wir in Europa wissen aus eigener Anschauung und Erfahrung, welches Leid Kriege über die Menschen bringt. Und wir wissen, dass es insbesondere die Künstlerinnen und Künstler sind, die mit großer Sensibilität auf die Gewalt, das Leid und das Drama des Krieges reagieren und ihre Betroffenheit mit ihren künstlerischen Möglichkeiten zum Ausdruck bringen. Ich erinnere an Käthe Kollwitz, die ein Mahnmal zur Erinnerung an ihren im 1. Weltkrieg gefallenen Sohn Peter schuf, oder das Selbstbildnis von Max Beckmann als Krankenpfleger mit seinem desillusionierten Blick, oder auch die Grafiken von Felix Valotton mit Kriegserlebissen von der französischen Front, die Feldpostkarten von László Moholy-Nagy oder das weltberühmte und sehr bedeutsame Gemälde Guernica von Picasso.

Die Ausstellung „Fluchtpunkt“ präsentiert fünf syrische Künstlerinnen und Künstler. Sie leben heute in Deutschland und in den Niederlanden und arbeiten in unterschiedlichen Medien. Alle vereint die Sehnsucht und das Streben nach einer Kunst in Freiheit, das heißt die Freiheit der individuellen Gestaltung und die Freiheit der Präsentation. Denn, so sagte bereits Friedrich Schiller „ Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“

Die fünf Künstlerinnen und Künstler stammen aus unterschiedlichen Regionen Syriens und gehören verschiedenen Generationen an. Ihr künstlerischer Werdegang begann für die meisten von Ihnen an der Kunstakademie in Damaskus. Gleichwohl ist auffallend, dass sie mehrheitlich nicht nur als bildende Künstlerinnen und Künstler tätig sind, sondern in ihrer Heimat als Doppel- und Mehrfachbegabungen auch in anderen Disziplinen erfolgreich waren. 

Die Künstlerin Kefah Ali Deb stammt aus der Hafenstadt Latakia und lebt seit 2014 in Berlin. Sie ist in ihrer Heimat nicht nur als bildende Künstlerin sondern auch als preisgekrönte Kinderbuchautorin und als Chefredakteurin der arabischen Kinderzeitschrift „Regenbogen“ bekannt geworden. In unserer Ausstellung sehen wir Arbeiten von Kefah Ali Deb auf Leinwand und auch grafische Arbeiten. Letztere werden hier in der Mediathek präsentiert. In allen diesen Arbeiten findet sich das immer wiederkehrende Motiv des leeren Stuhls. Das ist nicht zufällig so. Von alters her hatte der leere Stuhl eine symbolische Bedeutung. Er war das Symbol für  eine bedeutende verstorbene Person: ihr Platz blieb leer. In jüngster Zeit ist der leere Stuhl in anderen Zusammenhängen in Erscheinung getreten. So geschehen bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 an den chinesischen Dissidenten Liu Xiabos. Während seiner bedeutenden Würdigung war der Preisträger in China inhaftiert. Bei der Berlinale 2015  verwies der leere Stuhl auf die Lücke, die der iranische Filmregisseur Jafar Panahi hinterlassen hat, nachdem er vom islamischen Revolutionsgericht zu sechs Jahren Haft und Berufsverbot verurteil worden war. Der leere Stuhl wurde so in jüngster Zeit mehrfach zum Symbol für die Unterdrückung von Rede-, Meinungs-, und Kunstfreiheit durch totalitäre Regime. So ist es naheliegend, die leeren Stühle in den Bildern von Kefah Ali Deb  auch in diesem Sinne zu interpretieren. Und selbst wenn ausnahmsweise eine Person Platz auf einem Stuhl genommen hat, erscheint diese Person mit einem verstörten Gesicht, einem gequälten Körper und einer verblühten Blume.

Die Künstlerin Darin Ahmad hat in zahlreichen Ausstellungen in verschiedenen Ländern teilgenommen. Sie hat aber auch einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Universität in Aleppo und ist in Syrien mit psychologischen Veröffentlichungen hervorgetreten. Zurzeit lebt die Künstlerin ebenfalls in Berlin.

Mit ihren künstlerischen Mitteln bringt Darin Achmad den Schrecken des Erlebten zur Anschauung. Ihre Gemälde in dieser Ausstellung lösen beim Betrachter unmittelbar ein Gefühl der albtraumartigen Beklommenheit aus. Sie zeigen eine namenlose Masse von Menschen, meist Frauen und Kinder, die aus dem Dunkel eines nicht definierten Raums ins Rampenlicht treten. Die Dargestellten sind ihres individuellen Ausdrucks beraubt. Aus schwarzen Augenhöhlen starren sie den Betrachter an: Ihre Situation erscheint ausweglos. Sie sind verängstigt, schutzlos, manchmal fragend. Werden sie wieder Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen können? Wird ihnen Gerechtigkeit widerfahren? Werden sie künftig wieder Glück erleben? Oder werden sie ihrem Schicksal ausgeliefert sein, wie in der griechischen Tragödie. Die Antwort auf diese Fragen bleibt bei Darin Ahmad unbeantwortet und dem Betrachter überlassen.

Der Künstler Fouad El-Auwad lebt schon geraume Zeit in Aachen. Durch seine Familie und seine Freunde fühlt er sich mit seinem Heimatland eng verbunden, leidet er mit und er hilft, wo er kann. In dieser Ausstellung präsentiert er sich als Dichter – Lyriker und bildender Künstler. Seine Arbeiten auf Leinwand sind überwiegend kleinformatig und voller poetischer Farbklänge und erinnern schon von daher an seine lyrischen Gedichte wie „Zartheit des Feuers". Sie lassen ein enges Wechselverhältnis zwischen Sprach- und Bildwelten vermuten. Seine Leinwände scheinen die Poesie seiner Gedichte in der Zweidimensionalität der Malerei abzubilden und führen als Bilder doch ein berechtigtes Eigenleben. Sie sind poetischer Ausdruck in Farbe und Form, ein jeweils kleines Paralleluniversum zu seiner Dichtung, der gleichwohl eigenständiger malerischer Ausdruck parallel zur Kraft seiner Sprache ist. Seine Arbeiten dürfen jedoch nicht missverstanden werden als eine romantische Lyrik, die uns so vertraut ist. Sie haben ihren Bezugspunkt vielmehr in der Krise unserer Zeit, im Elend und Drama von Verfolgung und Flucht. EL –Auwads Schaffen steht damit in einer Tradition, die uns an Künstler wie Paul Klee denken lässt. Auch Klee standen Malerei und Dichtkunst gleichermaßen als Ausdrucksmittel zur Verfügung, und reagierte gleichermaßen auf die Zeichen der Zeit.

Zum Künstler Akram Hamza: Akram Hamza lebt heute in Eindhoven in den Niederlanden. Es ist erst ein paar Monate her, dass Akram Hamza, aus seiner durch Krieg zerstörten syrischen Heimat nach Europa fliehen musste. So spiegelt sich in seinen hier präsentierten Arbeiten, - alle stammen aus der unmittelbaren Vergangenheit, - das jüngst Erlebte: Traurigkeit, Verlassenheit, Hilflosigkeit, Erschütterung. Es ist die geschundene Kreatur, die gequälte Seele, die uns in den dargestellten Gesichtern begegnet. In den meisten Bildern hat der Dargestellte seinen Blick nach innen gerichtet, auf sich selbst konzentriert, als wäre ihm auf immer alle Hoffnung und Freude abhanden gekommen. Nur in einem Bild verhält es sich anders: der Mensch ist im Schock erstarrt, die Augen treten ihm schreckerfüllt aus dem Kopf. Er starrt in das Unglaubliche, Unfassbare.

Hamzas Bilder erinnern uns an den leidenden, verlassenen Christus, wie er uns in den Werken des  Expressionismus, zum Beispiel bei Emil Nolde begegnet. Die Bilder Hamzas rühren uns an, erwecken Empathie in uns und verweisen mit ihrer emotionalen Ausdruckskraft auf die einzigartige Fähigkeit des Menschen zum einfühlsamen Mitleiden. Hamzas Bilder bekommen so Gültigkeit jenseits definierter religiöser Dogmen, werden zum Gleichnis für die Humanitas im Auge jedweden Betrachters.

Zum Künstler Adnan Sharbaji: Adnan Sharbaji wurde in Aleppo geboren. Und dorthin, in die am schwersten umkämpfte Stadt, kehrte er auch nach einem Studienaufenthalt in Italien zurück, um den Menschen in seiner Heimatstadt zu helfen. Eines Tages stand er den Kämpfern des IS gegenüber. Er musste seine gesamte Fotoausrüstung vergraben, um nicht in Lebensgefahr zu geraten. Sharbaji floh danach über die Balkanroute nach Deutschland. Seit fünf Monaten lebt er in Hannover.

Fotografien aus den umkämpften syrischen Städten, dem zerstörten Land und vom Drama der Flucht von tausenden von Menschen werden täglich über sämtliche Medien verbreitet. Dabei verschwindet das Einzelschicksal in der Menge. In Sharbarjis Fotografien  bekommen die anonymen Menschen ein Gesicht. An der syrisch-türkischen Grenze entstanden seine schwarz-weißen Fotoserien. „Nah ist fern“ hat er sie betitelt und will damit zum Ausdruck bringen, dass er die Porträts der Menschen, deren Schicksal sich in der Ferne ereignet, ganz nah an uns heranführt. Hinter jedem Gesicht verbirgt sich eine bedrückende Geschichte. Jeder, der den Krieg erlebt, der geliebte Menschen verloren, seine Heimat verlassen hat, kann diese Geschichten erzählen. Mit Respekt und Sensibilität hat sich Sharbaji den Menschen auf seinen Fotografien genähert und für den Betrachter anrührende, emotionale Bilder geschaffen.

03. Mai 2016 - 03. Juli 2016